Willst du gesund werden?

Johan­nes 5,1–9a: “Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hin­auf nach Jeru­sa­lem. Es ist aber in Jeru­sa­lem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf Hebrä­isch Betes­da. Dort sind fünf Hal­len; in denen lagen vie­le Kran­ke, Blin­de, Lah­me, Aus­ge­zehr­te. Es war aber dort ein Mensch, der war seit acht­und­drei­ßig Jah­ren krank. Als Jesus ihn lie­gen sah und ver­nahm, dass er schon so lan­ge krank war, spricht er zu ihm: Willst du gesund wer­den? Der Kran­ke ant­wor­te­te ihm: Herr, ich habe kei­nen Men­schen, der mich in den Teich bringt, wenn das Was­ser sich bewegt; wenn ich aber hin­kom­me, so steigt ein ande­rer vor mir hin­ein. Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Und sogleich wur­de der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. Es war aber Sab­bat an die­sem Tag.”

Die­se Erzäh­lung aus Johan­nes 5,1–16 führt uns mit­ten hin­ein in eine Begeg­nung vol­ler Span­nung, Hei­lung und geist­li­cher Tie­fe. Am Teich von Betes­da, einem Ort der Hoff­nung und des War­tens, liegt ein Mann, seit 38 Jah­ren krank und ohne Hil­fe. Jesus tritt in die­se aus­weg­lo­se Situa­ti­on und stellt eine ein­fa­che, aber tief­grün­di­ge Fra­ge: „Willst du gesund wer­den?“ Was folgt, ist nicht nur ein Wun­der der kör­per­li­chen Hei­lung, son­dern auch eine Pro­vo­ka­ti­on reli­giö­ser Ord­nung: Die Hei­lung geschieht am Sab­bat. Der Text ent­fal­tet ein viel­schich­ti­ges Dra­ma zwi­schen mensch­li­cher Sehn­sucht, gött­li­cher Zuwen­dung und der Kon­fron­ta­ti­on mit gesetz­li­cher Enge. Er lädt ein, über Hei­lung, Ver­ant­wor­tung und die Frei­heit des Glau­bens nach­zu­den­ken.

Vers 2–4: “Es ist aber in Jeru­sa­lem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf Hebrä­isch Betes­da. Dort sind fünf Hal­len; in denen lagen vie­le Kran­ke, Blin­de, Lah­me, Aus­ge­zehr­te.”

Der Teich von Betes­da mit sei­nen fünf Hal­len ist ein Bild für unse­re Welt – und für unse­re Gemein­den. Auch heu­te lie­gen Men­schen in den „Hal­len“ unse­rer Zeit: erschöpft, ver­letzt, blind für Hoff­nung, lahm in ihrer Lebens­freu­de. Sie war­ten auf Bewe­gung, auf Berüh­rung, auf Hei­lung. Das Umfeld, in dem wir als Chris­tin­nen und Chris­ten leben, ist nicht frei von Leid – es ist durch­zo­gen von Sehn­sucht nach Sinn, Trost und neu­er Lebens­kraft. Die Sze­ne lädt uns ein, nicht weg­zu­se­hen, son­dern hin­zu­se­hen: Wo sind die Orte der Hoff­nung in unse­rer Stadt, in unse­rer Kir­che? Wo lie­gen Men­schen, die auf einen „Engel der Bewe­gung“ war­ten – und wo kön­nen wir selbst zu einem Zei­chen der Nähe und des Mit­ge­fühls wer­den? Christ­sein heu­te heißt, die Hal­len von Betes­da nicht zu mei­den, son­dern sie mit wachem Her­zen zu betre­ten.

Die­se Hal­len von Betes­da sind nicht nur Orte der Krank­heit – sie sind auch Orte der Hoff­nung, der Sehn­sucht und des War­tens. Men­schen lie­gen dort, weil sie glau­ben, dass sich etwas ver­än­dern kann. Auch in unse­rem heu­ti­gen Umfeld gibt es sol­che Orte: Kran­ken­häu­ser, Bera­tungs­stel­len, Kir­chen, Wohn­zim­mer, digi­ta­le Räu­me. Über­all dort, wo Men­schen mit ihrer Ver­letz­lich­keit sicht­bar wer­den, ent­steht die Mög­lich­keit ech­ter Begeg­nung. Als Chris­tin­nen und Chris­ten sind wir ein­ge­la­den, nicht nur Zuschau­er zu sein, son­dern Teil die­ser Hoff­nungs­ge­schich­te zu wer­den. Viel­leicht sind wir selbst manch­mal die War­ten­den – oder die, die ande­re tra­gen könn­ten. Viel­leicht sind wir geru­fen, das Was­ser zu bewe­gen, oder ein­fach da zu sein, wenn jemand sagt: „Ich habe kei­nen Men­schen.“ Die Hal­len von Betes­da erin­nern uns dar­an, dass Hei­lung oft dort beginnt, wo jemand hin­sieht, fragt und bleibt.

Vers 5: “Es war aber dort ein Mensch, der war seit acht­und­drei­ßig Jah­ren krank.”

Der Schein­wer­fer des Berichts schwenkt auf einen ein­zi­gen Mann. Die­ser “Mensch” ist es, der jetzt die hei­len­de Begeg­nung mit Jesus hat.

…der 38 Jah­re lang krank war“ – die­ser eine Satz trägt eine gan­ze Lebens­ge­schich­te in sich. Er steht für eine lan­ge Zeit des War­tens, der Hoff­nung, der Ent­täu­schung, viel­leicht auch der Resi­gna­ti­on. Im Licht unse­res heu­ti­gen Christ­seins wird die­ser Mensch zum Spie­gel für vie­le, die über Jah­re hin­weg mit Krank­heit, see­li­scher Not oder inne­rer Lee­re leben. In unse­ren Gemein­den, Fami­li­en und sozia­len Räu­men gibt es Men­schen, deren Leid nicht laut ist, son­dern still und lang. Die Zahl „38“ wird zur Chif­fre für das Aus­hal­ten, für das Durch­tra­gen von Schmerz, für das Leben im Schat­ten. Und doch: Der Schein­wer­fer des Evan­ge­li­ums rich­tet sich genau auf die­sen Men­schen. Nicht auf die Men­ge, son­dern auf den Ein­zel­nen. Das ist Trost und Auf­trag zugleich – denn Christ­sein heißt, den Ein­zel­nen zu sehen, das lan­ge Lei­den nicht zu über­ge­hen, son­dern mit dem Blick Jesu zu begeg­nen: hei­lend, fra­gend, zuge­wandt.

Vers 6: “Als Jesus ihn lie­gen sah und ver­nahm, dass er schon so lan­ge krank war, spricht er zu ihm: Willst du gesund wer­den?”

Jesus geht nach Bethes­da – nicht zufäl­lig, son­dern mit gött­li­cher Absicht. Er sucht die Kran­ken auf, die Zer­schla­ge­nen, die Aus­ge­zehr­ten. Sei­ne Gegen­wart gilt nicht den Star­ken, son­dern denen, die kei­ne Kraft mehr haben. Die Fra­ge „Willst du gesund wer­den?“ ist mehr als ein medi­zi­ni­sches Ange­bot – sie ist ein Ruf zur Hoff­nung, zur Wür­de, zur Wie­der­her­stel­lung. Der Gang Jesu zu die­sem Ort erfüllt die Ver­hei­ßun­gen der Schrift: In Hese­kiel 34,16 ver­heißt Gott, das Ver­wun­de­te zu ver­bin­den und das Schwa­che zu stär­ken. In Jere­mia 31,8 kün­digt er an, Blin­de und Lah­me zu sam­meln. Und in 2. Korin­ther 12,9 wird deut­lich, dass Got­tes Kraft gera­de in der Schwach­heit mäch­tig wird. Bethes­da ist also nicht nur ein Ort der Hei­lung – es ist ein Ort der mes­sia­ni­schen Erfül­lung. Auch heu­te besteht Jesu „Armee“ aus denen, die zer­bro­chen sind, die sich nach Hei­lung seh­nen, die sich nicht selbst hel­fen kön­nen. Christ­sein heißt, sich die­ser Bewe­gung anzu­schlie­ßen: nicht aus eige­ner Stär­ke, son­dern aus der Gna­de, die gera­de im Schwa­chen auf­leuch­tet

Jesus geht dort­hin, wo das Leid wohnt – zu den Hal­len von Bethes­da, zu den Blin­den, Lah­men und Aus­ge­zehr­ten. Nicht als mora­li­scher Rich­ter, nicht als poli­ti­scher Befrei­er, son­dern als der Got­tes­knecht, der heilt, indem er trägt. Jesa­ja 53,4 erin­nert uns dar­an: Der Mes­si­as nimmt nicht nur äuße­re Krank­heit auf sich, son­dern auch die tiefs­te Not des Men­schen – die Schuld, die Tren­nung, das inne­re Zer­bro­chen­sein: “Für­wahr, er trug uns­re Krank­heit und lud auf sich uns­re Schmer­zen. Wir aber hiel­ten ihn für den, der geplagt und von Gott geschla­gen und gemar­tert wäre.” Jede Hei­lung, die Jesus voll­zieht, ist ein Zei­chen für die­se grö­ße­re Bewe­gung: die Wie­der­her­stel­lung des gan­zen Men­schen.

Jesus beginnt nicht mit der Macht­fra­ge, son­dern mit der Schuld­fra­ge. Er heilt nicht, um zu tri­um­phie­ren, son­dern um zu ver­söh­nen. Das ist die stil­le Revo­lu­ti­on des Evan­ge­li­ums: Die Schwa­chen wer­den gese­hen, die Schul­di­gen wer­den geliebt, die Zer­schla­ge­nen wer­den auf­ge­rich­tet. Und wir? Wir Chris­ten nei­gen oft dazu, zuerst nach Ein­fluss, nach Wir­kung, nach Ord­nung zu fra­gen. Doch der Weg Jesu führt zuerst ins Herz – dort­hin, wo Hei­lung beginnt. Bethes­da wird so zum Sym­bol für das Evan­ge­li­um: nicht laut, nicht herr­schend, son­dern hei­lend, tra­gend, ver­wan­delnd.

„Willst du gesund wer­den?“ – die­se Fra­ge Jesu ist kein rhe­to­ri­sches Mit­tel, son­dern ein zutiefst respekt­vol­ler Ruf zur Frei­heit. Sie stellt den Wil­len des Men­schen in den Mit­tel­punkt, nicht als Bedin­gung, son­dern als Wür­di­gung sei­ner Wür­de. Jesus heilt nicht über den Kopf hin­weg, nicht gegen den Wil­len, nicht aus einem über­grif­fi­gen Hel­fer­im­puls. Er fragt, weil er den Men­schen ernst nimmt. Und genau hier liegt eine oft über­se­he­ne Wahr­heit des Evan­ge­li­ums: Hei­lung, Ret­tung, Glau­be – all das geschieht nicht auto­ma­tisch, nicht mecha­nisch, nicht durch from­me Über­stül­pung.

Es braucht das Ja des Ein­zel­nen, das bewuss­te, wil­lens­mä­ßi­ge, oft müh­sam errun­ge­ne Ja zur eige­nen Hei­lung, zur eige­nen Erlö­sung.

Got­tes Gna­de schafft alle Vor­aus­set­zun­gen – sie ist das offe­ne Tor, das Licht, das ruft. Aber hin­durch­ge­hen muss der Mensch selbst. Wenn wir als Chris­ten mei­nen, wir müss­ten ande­ren den Glau­ben auf­zwin­gen, ihnen unge­fragt hel­fen, sie „ret­ten“, weil wir es für rich­tig hal­ten, dann ver­feh­len wir den Geist Jesu. Dann han­deln wir nicht aus Lie­be, son­dern aus einem Bedürf­nis, uns als gute Chris­ten zu zei­gen. Das Evan­ge­li­um ist kein Zwangs­an­ge­bot, son­dern eine Ein­la­dung. Es respek­tiert den Men­schen in sei­ner Frei­heit – auch in sei­ner Ent­schei­dung, nicht zu glau­ben, nicht zu hei­len, nicht zu gehen. Wer das über­sieht, miss­braucht das Evan­ge­li­um und macht aus der Gna­de eine Pflicht. Jesus fragt: „Willst du?“ – und war­tet auf die Ant­wort. Erst dann han­delt er. Das ist die Demut Got­tes, die uns zur Demut ruft.

Vers 7: “Der Kran­ke ant­wor­te­te ihm: Herr, ich habe kei­nen Men­schen, der mich in den Teich bringt, wenn das Was­ser sich bewegt; wenn ich aber hin­kom­me, so steigt ein ande­rer vor mir hin­ein.”

„Herr, ich habe kei­nen Men­schen …“ – die­ser Satz ist ein Schrei aus der Tie­fe der Ein­sam­keit. Der Kran­ke am Teich von Betes­da spricht nicht nur von sei­ner kör­per­li­chen Not, son­dern von sei­ner sozia­len Iso­la­ti­on, von der Erfah­rung, über­se­hen zu wer­den. Seit 38 Jah­ren war­tet er – und nie­mand hilft ihm. Ande­re sind schnel­ler, stär­ker, bes­ser ver­netzt. Er bleibt zurück. Die­se Wor­te berüh­ren auch heu­te das Herz unse­res Christ­seins. Wie vie­le Men­schen in unse­rer Umge­bung könn­ten das­sel­be sagen: „Ich habe kei­nen Men­schen.“ Kei­ne Hand, die hilft. Kein Ohr, das hört. Kein Herz, das mit­fühlt. Inmit­ten einer ver­netz­ten Welt wächst die Ein­sam­keit – auch in Gemein­den, in den Kir­chen, auch unter Chris­ten.

Und zugleich offen­bart die­ser Satz eine tie­fe Sehn­sucht: Der Kran­ke will ja zum Was­ser, will Hei­lung, will Leben. Aber er schafft es nicht allein. Das Evan­ge­li­um zeigt hier, was wah­re Nach­fol­ge bedeu­tet: nicht schnel­ler zu sein als die ande­ren, son­dern lang­sa­mer – um zu sehen, zu hel­fen, zu tra­gen. Christ­sein heu­te heißt, sich nicht mit dem eige­nen Heil zufrie­den­zu­ge­ben, son­dern zum Men­schen zu wer­den, der ande­re zum Was­ser bringt. Es heißt, die Fra­ge Jesu zu hören: „Willst du gesund wer­den?“ – und dann selbst zu fra­gen: „Wie kann ich dir hel­fen, wenn du es willst?“ Nicht über­stül­pen, nicht über­ge­hen, son­dern beglei­ten. Denn das größ­te Wun­der beginnt oft nicht mit der Hei­lung, son­dern mit dem Dasein. Mit dem einen Men­schen, der nicht vor­bei­geht.

„Herr, ich habe kei­nen Men­schen …“ – die­ser Satz ist nicht nur Aus­druck von Ein­sam­keit, son­dern auch ein stil­ler Vor­wurf an eine Welt, in der Nächs­ten­lie­be oft zur Theo­rie gewor­den ist. Die Lie­be, die sieht, die sich bewegt, die trägt – sie fehlt. Und das nicht nur „da drau­ßen“, son­dern auch mit­ten unter uns Chris­ten. Wir reden von Lie­be, pre­di­gen sie, zitie­ren sie – aber leben wir sie? Die Lie­be, die Jesus ver­kör­pert, ist eine Lie­be, die nicht weg­schaut, nicht urteilt, nicht war­tet, bis jemand „bereit“ ist. Es ist eine Lie­be, die sich auf den Boden der Wirk­lich­keit begibt, die sich bückt, die fragt, die bleibt.

Doch die­se Lie­be geht oft unter – im All­tag, im Akti­vis­mus, in der Selbst­ge­rech­tig­keit. Wir hel­fen, aber manch­mal ohne zu sehen. Wir beten, aber manch­mal ohne zu hören. Wir reden von Gott, aber manch­mal ohne das Herz des Men­schen zu berüh­ren. Die Lie­be Jesu ist kei­ne abs­trak­te Idee, son­dern eine kon­kre­te Bewe­gung zum Men­schen hin. Sie fragt: „Willst du?“ – und war­tet auf das Ja. Sie drängt nicht, sie trägt. Sie heilt nicht, um zu glän­zen, son­dern um zu ver­bin­den. Wenn wir als Chris­ten die­se Lie­be ver­lie­ren, ver­lie­ren wir das Herz des Evan­ge­li­ums. Dann wird Hil­fe zur Pflicht, Glau­be zur For­de­rung, Gemein­schaft zur Fas­sa­de. Die Hal­len von Bethes­da erin­nern uns dar­an, dass ech­te Nächs­ten­lie­be nicht laut ist, son­dern lei­se. Nicht domi­nant, son­dern die­nend. Nicht blind, son­dern sehend. Sie beginnt dort, wo wir den Satz hören: „Ich habe kei­nen Men­schen“ – und ant­wor­ten: „Ich bin da.“

Ver­se 8–9: “Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Und sogleich wur­de der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. Es war aber Sab­bat an die­sem Tag.”

„Steh auf, nimm dein Bett und geh hin!“ – die­ses Wort Jesu ist kein sanf­ter Rat­schlag, son­dern ein macht­vol­ler Ruf zur Ent­schei­dung. Es ist ein Befehls­wort, das den Men­schen in sei­ner Frei­heit und Ver­ant­wor­tung anspricht. Der Mann, der 38 Jah­re lang gelähmt war, wird nicht nur kör­per­lich geheilt – er wird auf­ge­rich­tet zu einem neu­en Leben. Das Auf­ste­hen ist ein Sym­bol für geist­li­che Auf­er­ste­hung, für das Ver­las­sen der alten Exis­tenz, für den Beginn eines Weges in Frei­heit und Wür­de. “Steh auf” sagt Jesus, es ist ein Befehls­wort. Im Auf­ste­hen des Man­nes liegt also ein sym­bo­li­scher Hin­weis auf die geist­li­che und leib­haf­ti­ge Auf­er­ste­hung zu einem neu­en Leben.

Doch die­se Hei­lung geschieht nicht auto­ma­tisch. Sie ver­langt Gehor­sam – nicht im Sin­ne blin­der Unter­wer­fung, son­dern als Ant­wort auf das Wort des Lebens. Erst als der Mann dem Ruf Jesu folgt, wird die Hei­lung voll­endet. Das zeigt: Got­tes Wir­ken ist immer auch ein Ruf zur Mit­wir­kung. Vie­le Men­schen erfah­ren kei­ne Hei­lung, weil sie zwar Hil­fe wol­len, aber nicht bereit sind, sich dem gött­li­chen Wort zu beu­gen. Sie fra­gen nach ihrem eige­nen Wil­len, aber nicht nach dem Wil­len Got­tes. Sie wün­schen Ver­än­de­rung, aber ohne den Schritt des Gehor­sams, der das Alte ver­lässt und das Neue annimmt.

Im heu­ti­gen Chris­ten­tum ist das eine Her­aus­for­de­rung: Wir reden viel von Gna­de, von Lie­be, von Hei­lung – aber wenig von Gehor­sam. Dabei ist Gehor­sam kein Zwang, son­dern die freie Ant­wort auf das Ange­bot Got­tes. Es ist das Ja zum Ruf, das Auf­ste­hen aus der Läh­mung, das Gehen in ein neu­es Leben. Jesus ruft nicht zur Pas­si­vi­tät auf, son­dern lädt uns ein, aktiv zu wer­den. Wer sich die­sem lie­be­vol­len Ruf ver­wei­gert, bleibt – trotz tiefs­ter Sehn­sucht – in der Stil­le lie­gen und ver­passt die Mög­lich­keit der Hei­lung. Denn die Hei­lung beginnt mit dem Wort Got­tes, doch sie wird erst in der Tat Wirk­lich­keit durch unse­ren Gehor­sam. So ent­fal­tet sich die dyna­mi­sche Kraft des Evan­ge­li­ums: ein Ruf, dem wir nach­kom­men, eine Ant­wort, die wir geben, gefolgt von Hei­lung und dem beschrei­ten des hei­li­gen Weges.

„Und sogleich wur­de der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin“ – die­ser schlich­te Satz leuch­tet wie ein Stern in der Erzäh­lung. In ihm ver­dich­tet sich die gan­ze Kraft und Ein­zig­ar­tig­keit des Wun­ders. Kein lan­ges Ritu­al, kei­ne äuße­re Vor­be­rei­tung, kein Zau­ber­wort – nur das macht­vol­le Wort Jesu und die unmit­tel­ba­re Wir­kung. Die Hei­lung geschieht „sogleich“ – ohne Ver­zö­ge­rung, ohne Zwei­fel, ohne Bedin­gun­gen. Das zeigt: Wenn Jesus han­delt, geschieht Neu­es.

Der Geheil­te nimmt sein Bett – ein Sym­bol sei­ner Ver­gan­gen­heit, sei­ner Läh­mung und sei­ner lan­gen War­te­zeit – und tritt vor­wärts. Er trägt nicht nur das Zei­chen sei­ner Hei­lung, son­dern auch das leben­di­ge Zeug­nis sei­ner Geschich­te. Die­ses Wun­der ent­fal­tet sich nicht nur auf kör­per­li­cher Ebe­ne, son­dern berührt das gesam­te Wesen des Men­schen: Er wird auf­ge­rich­tet, befä­higt und aus­ge­sandt. Die Ein­zig­ar­tig­keit des Gesche­hens liegt nicht nur in der Schnel­lig­keit, son­dern auch in der tie­fen Bedeu­tung. Es ist ein Vor­ge­schmack auf die Auf­er­ste­hung, auf das neue Leben, das Chris­tus uns ver­heißt.

Für unser heu­ti­ges Christ­sein bedeu­tet dies: Wir glau­ben nicht an eine Theo­rie, son­dern an einen leben­di­gen Herrn, der heil­sa­me Kraft ent­fal­tet, uns auf­rich­tet und sen­det, um Licht in die Dun­kel­heit zu brin­gen. Das Wun­der von Bethes­da ist nicht ledig­lich ein ver­gan­ge­nes Ereig­nis, son­dern ein blei­ben­des Zei­chen: Chris­tus ist auch heu­te in der Lage zu hei­len – sei es kör­per­lich, see­lisch oder geist­lich. Und wenn er ein­greift, strahlt eine Ver­än­de­rung auf, die weit über das Sicht­ba­re hin­aus­reicht: die inni­ge Gegen­wart Got­tes, die mit­ten unter uns wohnt und uns ver­wan­delt.

Die Hei­lung am Teich von Betes­da ist mehr als ein Wun­der­be­richt – sie ist ein geist­li­ches Gleich­nis für das Wesen Jesu und für den Weg des Glau­bens. In der Begeg­nung mit dem kran­ken Mann offen­bart sich ein Mes­si­as, der sieht, fragt, ach­tet und heilt. Kein Zwang, kei­ne Über­stül­pung, son­dern ein Ruf zur Frei­heit und zur Ent­schei­dung. Die Fra­ge „Willst du gesund wer­den?“ bleibt auch heu­te bestehen – sie gilt jedem von uns, in unse­ren Läh­mun­gen, in unse­rer Sehn­sucht, in unse­rer Schuld. Jesus heilt nicht nur den Kör­per, son­dern ruft den gan­zen Men­schen in ein neu­es Leben. Er for­dert den Wil­len, den Gehor­sam, das Ver­trau­en – und schenkt zugleich die Kraft, auf­zu­ste­hen. Für uns als Chris­tin­nen und Chris­ten bedeu­tet das: Wir sind ein­ge­la­den, die­sem hei­len­den Chris­tus zu begeg­nen, ihm zu fol­gen und selbst zu Men­schen zu wer­den, die sehen, fra­gen und tra­gen. Nicht aus reli­giö­sem Ehr­geiz, son­dern aus der Lie­be, die aus der Gna­de lebt. Bethes­da ist über­all – und der Ruf Jesu klingt bis heu­te: „Steh auf, nimm dein Bett und geh hin.“